‘Auf dem Asphalt botanisieren gehen’
Magdalena Pilko durchquert Raum und zeichnet ihn auf. Als aufzeichnende Methode dienen ihr verschiedene optische Verfahren, mit denen ein „Lichtbild“ auf lichtempfindliches Trägermaterial projiziert wird, Fotografie und Film etwa, aber auch das einfache Blatt Papier, auf dem sich durch Lichteinwirkung Schattenrisse abzeichnen. Magdalena Pilko interessiert, wie allein Lichtimpulse Bilder auf der Netzhaut generieren, und das dies Bilder sind, die wir mit unterschiedlichen, zuweilen auch ganz einfachen Apparaturen festhalten und reproduzieren können. Es sind die filmischen Aufnahmen wie „Distel“ oder „Schattenfahrt“ (Filme, in denen die Künstlerin die Kamera auf ein Blatt Papier richtet, das sie vor sich in den Händen hält, und auf dem sich durch Sonneneinwirkung die Schattenrisse all jener Pflanzen abbilden, an denen die Spaziergängerin bei einen Gang etwa durch einen botanischen Garten vorüberzieht), die zeigen, dass es in Zusammenhang mit den Aufzeichnungen von Magdalena Pilko Sinn macht, an jenem altmodischen Begriff der „Lichtzeichnung“ festzuhalten, wo man für ihre bildgebenden Verfahren doch auch die geläufigeren Termini wie etwa „Fotografie“ oder „Film“ verwenden könnte. Denn Pilko reflektiert nicht nur die strukturellen Eigenschaften der von ihr verwendeten Medien und arbeitet sie präzise durch, sondern arbeitet auch ganz offensiv mit dem, was im Begriff der Lichtzeichnung mitschwingt: mit dem Moment des Flüchtigen etwa, mit dem Moment der steten Veränderlichkeit der Erscheinungsweisen der Dinge, die uns umgeben. Ihre handschriftlichen Aufzeichnungen - Texte und Zeichnungen – unterstreichen diesen Charakter des Ausschnitthaften und der Momentaufnahme, der sich in der Zusammenführung aber zu einem konzisen Gesamteindruck, zu einer Beschreibung von Raum verdichtet. Dabei gelingt es Magdalena Pilko ihre Arbeiten in einer Spannung zwischen Präzision und Zufall zu halten, eine Qualität, die ihrer konzeptuellen Herangehensweise geschuldet ist. Denn jedem Projekt geht eine Überlegung voraus, etwa nach welchem Modus sie Raum durchquert und in welchen Zeiteinheiten und Abständen sie ihn festhält („Sense of Continuity“), welches Medium sie für ihre Aufzeichnungen wählt („Journals“) oder wie sie den Raum aufteilt und zerlegt („Adagio“). Um die Dinge zu bearbeiten, wählt Magdalena Pilko oftmals die Buchform. Selbst in ihren Ausstellungsstellungsettings bleibt das Buch als Form präsent, sei es, dass es zum Blättern aufgeschlagen auf einem Sockel platziert wird, sei es, dass lose Blattsammlungen aus ihren Logbüchern auf Tischen ausgelegt werden, sei es, dass Bilderpaare wie zwei Buchseiten zusammengefügt an die Wand gebracht werden. Dennoch steht das Buch als Form nicht im Vordergrund ihrer Arbeit. Magdalena Pilko arbeitet vielmehr mit dem Medium Buch, um mit ihm zu untersuchen oder zu zeigen, wie wir Bilder lesen können. Mit ihm untersucht sie die Dinge in ihren unterschiedlichen Erscheinungsweisen, in ihren unterschiedlichen Aggregatzuständen, durch ihr Vorgehen generiert sie Bildfolgen, die die Variabilität der Sehweise unterstreichen. „Magdalena Pilko ist eine Kartografin der Städte, eine Stadtflaneurin des 21. Jahrhunderts“, heißt es treffend einführend zu Magdalena Pilkos Ausstellung in Graz“. Anders aber als etwa in der klassischen Dokumentarfotografie rücken in diesen sehr eigenwilligen Stadtansichten nicht Visualisierungen komplexer urbaner Strukturen ins Zentrum des Bildes, nicht einmal Strukturelemente oder Teilstrukturen wie etwa ein Gebäude, ein Platz, eine Straße oder Ecke. Stattdessen bleibt das Zentrum weitgehend vakant und unbestimmt, umgeben von Orten, die zwar alle auch auf Stadt verweisen, im wesentlichen aber auf sich selbst - ohne aber aus sich selbst erschlossen werden zu können: Fragmente. Die Motive generieren Zufälligkeit, in den Fokus geraten topographische Fragmente, die in ihrer Bruchstückhaftigkeit bereits die Rekonstruktion ihrer unmittelbaren urbanen Einbettung verweigern. Entgegen dem konventionellen kontrollierenden Blick durch die Kamera, der das Sujet automatisch immer in die Bildmitte rückt, ermöglicht ihr Konzept, verschobene Perspektiven freizugeben. Mit dieser Entscheidung umgeht die Künstlerin auch den (medialen) Konditionierungen des Blicks, über die sich gesellschaftlicher Raum traditionell konstituiert und reguliert - man denke in diesem Zusammenhang nur an Baudelaire und an die von ihm entworfene Figur des Flaneurs als Chronist der Zeit, der sich mit meisterndem (Kontroll-) Auge den Stadtraum aneignete. Der Flaneur symbolisiert die Freiheit der Bewegung in der Stadt, die Beobachtung ohne Interaktion, die auf die sein Auge trifft. Gerade auch die Fotografie reproduziert diese Konstruktionen städtischer Raumwahrnehmung und -beherrschung, indem sie sich Stadt mit diesem auch kontrollierenden Auge aneignet: Das erkennende, wissende, einordnende Auge hinter dem Objektiv der Kamera vermittelt Strukturgebung, Übersicht, Vollständigkeit und Abgeschlossenheit. Magdalena Pilko geht bewusst den umgekehrten Weg. Denn betrachten wir z.B. ihre „Journals“ oder aber ihre aus Doppelbildern bestehende Serie „Sense of Continuity“, kommen wir schnell zu der Erkenntnis: Hier ist die Sicht verbaut. Pilko errichtet mit ihren Fotografien weder eine Distanz zum Gesehenen - indem sie beispielsweise einen erhöhten Betrachterstandpunkt wählt - noch weist sie - beispielsweise in der frontalen Betrachtung - Bilder zurecht. Es werden keine Stilblüten urbanen Lebens botanisiert, sondern Nichtigkeiten festgehalten. Hier gibt es nichts, auf dass den Blick zu werfen sich lohnt, etwas von dem man annehmen könnte, dass sich hier jemand sattsieht. Pilko verweigert so die Reproduktion traditioneller Konzepte des Sehens. Die herrschenden Spielregeln des Sehens (und auch Gesehen- werdens) werden von Pilko gebrochen. Mit ihrem Konzept entgeht sie den immer wieder produzierten und reproduzierten – und massenmedial vermittelten - Wahrnehmungsmustern von städtischer und damit auch gesellschaftlicher Wirklichkeit und desavouiert durch ihre analytische Vorgehensweise die realitätsmächtigen Konstruktionen. Ihnen wird die Variabilität der Sehweise gegenübergestellt. Es ist ein leise Arbeit über „die Veränderung der Orte zwischen den Augenblicken“. 1 Benjamin, Walter, Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, Gesammelte Schriften I,2, Frankfurt/M. 1974, S. 509-690, hier S. 538.